Südkurier, 17. September 2014, Michael Lünstroth

Ein Visionär für Konstanz: Wie ein Künstler die Revolution von innen wagt

Konstanz – Was bewegt uns heute noch? Mit der Aktion „Hier und jetzt…“ will Dominik Böhringer die Menschen zum Gespräch auffordern. Wie ein kleines Kunstprojekt die Stadt verändern könnte

Ohne Croissants geht erstmal gar nichts. „Probieren Sie die mal, die sind total lecker. Vielleicht die Besten der Stadt“, sagt Dominik Böhringer und zeigt auf einen Teller mit Croissant-Variationen – vom einfachen Buttergebäck bis hin zum süßen Schokoteilchen ist alles dabei. Der 57-Jährige ist Künstler, er weiß zu leben. Dazu gibt es Kaffee klassisch aus der italienischen Cafetiere von der Herdplatte. Automatenschnickschnack ist nicht Böhringers Ding. Auch sonst ist sein Atelier in der Wiesenstraße 10a zwischen Lago und Bodanplatz eher einfach eingerichtet. Klapprige Holzstühle, kalter Betonboden, bisschen Kunst an der Wand. Fertig. Kein unnötiges Chichi, hier herrscht eher Werkstattatmosphäre. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Böhringer einer der derzeit kreativsten Künstler der Stadt ist. Kaum einer fasst den Kunstbegriff so weit wie er. Genregrenzen? Gibt es bei ihm nicht. Alles löst sich auf. Kunst ist Kunst. Punkt.

Was das bedeutet, kann man ganz schön an seinem neuen Projekt beobachten. Ein Projekt, dass die Stadt verändern könnte. Nicht direkt sichtbar, aber doch in den Köpfen der Menschen. „Hier und jetzt…“ heißt es und Böhringer will dabei ins Gespräch kommen mit den Menschen. Über ihre kleinen und großen Sorgen, über das was sie bewegt und auch über das, was sie gerne ändern würden, wenn sie denn könnten. „Ich habe gemerkt, dass viele Menschen heute gar keine Träume und Visionen haben. Viele sind mit dem reinen Überleben und dem Halten des Status quo beschäftigt“, sagt Böhringer. Ob er mit einem Gespräch daran etwas ändern kann? „Das weiß ich nicht, aber es ist zumindest ein Anstoß“, hofft der Künstler. Kaum sagt er es, schiebt er seine Schirmmütze einmal nach rechts, einmal nach links, hält kurz inne, als wisse er selbst nicht so genau, ob die Idee wirklich aufgeht. Aber wenigstens versuchen will er es doch.

Dazu will er in den kommenden Wochen an verschiedenen Orten der Stadt auftauchen und am Tisch und unter seinem Hier-und-jetzt-Schirm zum Austausch einladen. Was dabei heraus kommt, ist immer unterschiedlich. Vorgaben gibt es keine, Böhringer selbst bereitet sich nicht auf die Diskussionen vor. Die Erlebnisse aus seinen Gesprächen will er irgendwann auch für seine Kunst verwenden. In welcher Form ist noch unklar. Aber damit greift er auch auf ein altes Beuyssches Konzept zurück, jenes der sozialen Plastik. Die Theorie der „Sozialen Plastik“ besagt, jeder Mensch könne durch kreatives Handeln zum Wohl der Gemeinschaft beitragen und dadurch gestaltend auf die Gesellschaft einwirken. „Warum sollte das nicht auch in Konstanz klappen?“, fragt Böhringer.

Wer ist dieser Mensch, der sich an die Konstanzer Seele wagt? Der Künstler ist 2009 aus Nordrhein-Westfalen an den Bodensee gekommen. Aufgewachsen ist er in Düsseldorf, es folgten später ein Theaterstudium in der Schweiz und einige Tourneen mit Tanz- und Theatergruppen durch Europa. Zur bildenden Kunst kam er 1982 mit ersten Ausstellungen. Gearbeitet hat er schon in Brüssel, Amsterdam und New York. Böhringer ist ein Kosmopolit. Wohl auch deshalb beherrscht er fünf Sprachen. Mit „Hier und jetzt…“ knüpft er jetzt eher wieder an seine theatralen Arbeiten an.

Entstanden ist dieses Projekt im Zusammenhang mit dem Konziljubiläum. Damals seien die Menschen nach Konstanz gekommen, um die dringendsten Fragen der damaligen Zeit zu lösen. „Mich interessiert jetzt vor allem: Was sind heute unsere größten Probleme? Und können wir etwas dazu beitragen, sie zu lösen?“, erläutert Dominik Böhringer seine Ursprungsidee. Das kam bei der Stadt so gut an, dass das Projekt vom Kulturbüro und der Konzilstadt Konstanz gefördert wurde. Tatsächlich birgt das Vorhaben großes Potenzial. Es rüttelt an zwei Grundfesten der Konstanzer Mentalität – der Vergangenheitsfixiertheit und der Zukunftsangst. „Ein Teil der Stadt will einfach beharrlich keine Veränderung zulassen. Mit dem Jubiläum haben wir jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass sie nicht in der Mehrheit sind und Konstanz immer noch eine großartige, innovative und visionäre Stadt ist“, ist Böhringer überzeugt. Damit plant er nicht weniger als eine Mentalitäts-Revolution von innen. Ein ambitioniertes Unterfangen.

Die Themen, die er in seinem Gesprächskreis bearbeiten will, hängen immer von den Menschen ab, die sich auf die Diskussion einlassen. Das können ganz persönliche Gedanken über das Leben sein, aber auch genauso sehr konkrete Konstanzer Themen. Zum Beispiel diese hier: Wo bleibt die Lebensqualität für Konstanzer, wenn immer mehr Touristen in die Stadt kommen? Wie könnte man das Verkehrsproblem der Stadt lösen? Und wie könnte die Kluft zwischen Arm und Reich in der Stadt wieder überbrückt werden?

Wir kommunizieren viel, reden selten

„Natürlich habe ich auch keine Patentlösungen in der Tasche. Aber das Problem ist doch oft, dass wir uns zu wenig Zeit nehmen, Visionen zu entwickeln. Wir verharren oft in alten Lösungen, dafür brauchen wir für neue Situationen doch auch neue Ansätze“, findet Böhringer. Und diese ließen sich nun mal am besten im Gespräch finden, ist er überzeugt. Wenn man Böhringer länger zuhört, dann klingt das manchmal nach irgendwas zwischen naiv und esoterisch. Da wird es einige Menschen geben, die skeptisch die Augenbraue hochziehen werden.Macht sich da einer lächerlich? Nein, denn mit seiner Grunddiagnose der Gesellschaft hat Böhringer ja durchaus recht: Wir kommunizieren zwar jeden Tag extrem viel, aber miteinander reden tun wir nur noch selten. Also, warum es nicht einfach mal anders probieren? Böhringers erste Erfahrungen sprechen dafür, dass reden helfen kann: „Das Langzeitprojekt bin ich“, sagt er bei einem zweiten Treffen einige Wochen nach der ersten Begegnung. Er merke jetzt schon, wie er sich durch die Gespräche verändere. Wenn es gut läuft, bleibt er nicht der Einzige.

Hier kann man den Künstler treffen

Im Rahmen seines Kunstprojekts „Hier und jetzt…“ stellt sich Dominik Böhringer in den kommenden Wochen mehrfach dem Gespräch mit Bekannten und Wildfremden. Den Künstler kann man auch buchen

Im Atelier: In Böhringers Atelier in der Wiesenstraße 10a finden die meisten Veranstaltungen statt. Zum Beispiel am Sonntag, 28. September, 11 Uhr. Dann spricht er mit der Künstlerin Rebecca Koellner über die Gewohnheit. Anlass dieses Gesprächs ist die Ausstellung „Über die Gewohnheit, nach Michel de Montaigne“, die Koellner ab dem 19. September in Böhringers Atelier zeigt. Zu sehen sind dort Fotografien, Baumbeschriftungen und Plakate. Am Sonntag, 5. Oktober, 11 Uhr, ist Karin Gürtner bei Böhringer zu Gast. Sie sprechen dann über den Schatten. Über die Kunst und ihren Wert für die Gesellschaft debattiert Böhringer am Sonntag, 19.Oktober, 11 Uhr. Eine erste kleine Bilanz zum Projekt gibt es am Samstag, 29. November, um 19 Uhr.

Auf offener Straße: Seit Mitte September kann man Böhringer an zwei Tagen die Woche auch im Café Eugens (Münzgasse 1) treffen. Meist montags 10:30 bis 12 Uhr und dienstags 16 bis 17:30 Uhr.

Oder bei Ihnen Zuhause: Dominik Böhringer und sein Projekt „Hier und jetzt…“ sind auch buchbar. Entweder per Telefon (0160) 97 56 76 48 oder E-Mail d.e.boehringer@gmail.com

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