Südkurier, 03.Februar 2012, Reinhard Müller
Die Dreifaltigkeitskirche wird Schauplatz einer ungewöhnlichen Verbindung von Chorwerken mit einem Bildobjekt
Ein hoher Anspruch ist das: Chorwerke mit einem „Objekt“ der Bildenden Kunst sollen am 3. März bei der Veranstaltung „Kunst in der Citykirche“ in der Dreifaltigkeitskirche uraufgeführt werden: „Künstler im Dialog“ – besser: Künstler im Trialog werden die Werke aus der Taufe heben.
Um das wird es gehen: Die Berliner Komponistin Ruth Wiesenfeld, der Künstler Dominik Böhringer (seit 2009 in Konstanz) und der Konstanzer Dirigent Steffen Schreyer mit seinem Vokalensemble wollen in „Concentration“ auf einen Kreis hin ein Dialogkunstwerk entstehen lassen. Das Bildobjekt ist eine vorläufig graue Gipsschale, die mit Papier und langsam rostendem Eisen reagierend unvorhersehbare optische Strukturen erzeugen wird. Die Chorwerke gliedern sich in die Vertonung des 45. Psalms, eine melodisch gebundene Improvisation, wo konzentrische Kreise eines ins Wasser geworfenen Steins hörbar werden; schließlich ein Rilke-Zitat von fließender Zusammenballung.
Das Besondere daran: Unter Anwesenheit der Komponistin wurden die musikalischen Werke im Wolkensteinsaal und der Dreifaltigkeitskirche angeprobt. Zuhörer und Chor konnten die schon fertigen Kompositionen ausprobieren, mit der Komponistin über Gestaltung, Klanggebung und Auffassung diskutieren.
Dass die drei Kompositionen in logischer Entwicklung stehen, wurde deutlich: Zuerst die streng modern-tonal komponierte Motette „Schir Jedidot“ mit schwierigen Doppelrhythmen, Tonartrückung, Motivimitation, moderaten und forcierten Tempi; dann in „Ich hörte sagen“ die den Sängern gewährte Freiheit, mit vor-gegebenen kirchentonartlichen (phrygischen) Motiven im Konsens untereinander improvisierend umzugehen; am Ende dann fast völlige Freiheit: den Rilke-Text vom Zerfließen und Zusammenballen eines „Etwas“ aus einem Mono-Ton heraus in Clustern zu performen, den ganzen Kirchenraum durchschreitend.
Das war ein spannender Besuch in einer „Klangwerkstatt“. Im Konzert wird auch der improvisierte Anteil geglätteter erscheinen; das Produkt „Chorwerk“ wird neu glänzen, und man wird ihm die handwerkliche – oder darf man sagen: die mundwerkliche? – Vorarbeit an Ton, Motiv, Thema und Variation nicht mehr anmerken, aber der Gehalt der Komposition wird erahnt und meditativ erfasst werden können: Die kompositorische Fracht wird dem Hörer nicht wie im Beipackzettel aufgedröselt.
Ruth Wiesenfeld hat im A-cappella-Hochzeitspsalm „Schir Jedidot“ mit den hebräischen „Jofja fijta“-Rufen („Du bist schön“) ein eindrucksvolles Zeugnis einer neuzeitlichen Motette auf alten Gesetzen geschaffen. Mit „Ich hörte sagen“ ist ihr der Spagat zwischen exakt formulierter Melodie und deren Zersplitterung in Patterns immer weitere Kreise ziehender Wasserwellenringe gelungen, und in „…so ein Innen“ zieht sie sich schließlich aus ihrer Tonvorgabe zurück und überlässt dem aufgesplitteten Chor und der Raumwirkung ein „Feld der Möglichkeiten“.
Die Begegnung der beiden Kunstformen Musik und Bild wird erst in der Uraufführung wirksam werden können, aber Dominik Böhringer äußerte beim Hören des Chors seine begeisterte Überzeugung des Gelingens.
Zum Triumvirat Komponistin-Künstler-Dirigent kam als viertes Element der Chor. Die etwa 20 Damen und Herren des Vokalensembles leisteten in enormer stimmlicher Beweglichkeit mit Steffen Schreyer zusammen eine fast siebenstündige konzentrierte Arbeit an diesem Projekt, das nur mit geübtem musikalischem Hintergrund möglich erscheint. Möge sich die Dreifaltigkeitskirche zur Uraufführung füllen! Es sollte ein Sondererlebnis werden können.