Albert Kümmel-Schnur: Medium sans phrase.
Zu Dominik Böhringers Arbeiten
Als Dominik und ich über dieses offene Atelier sprachen, sagte er zu mir: Du, auf La Palma war ein Sturm und da dachte ich plötzlich, was soll dieser Druck – ich zeige einfach, was ich habe. Was ist, ist. Aber was genau ist eigentlich? Was ist diese Präsenz oder Anwesenheit, die da bejaht wird, die Du bejahst Dominik und uns hier zeigst? Der Kreis ist Dir die wichtigste Figur. Ein Kreis ist geometrisch definiert als eine durchgehende Linie, deren Punkte alle gleich weit vom Zentrum entfernt sind. Das bedeutet aber, dass der Kreis sich von eben dieser Mitte her definiert. Nun sind Deine Bilder jedoch eigentlich keine Kreise, sie sind nicht zweidimensional, sondern wölben sich höchst sichtbar in die dritte Dimension, schweben obendrein vor den Wänden, vor denen sie aufgehängt sind, bilden Schatten, benötigen diesen Abstand zum Atmen und greifen so Raum. Sie sind Kugelabschnitte, Teile eines Ganzen, das Du jedoch nicht zeigst. Es sind keine Kreise, es sind Kugelsegmente. Und wiederum tritt auch die Kugel zurück, ist kaum Thema, sondern nur der Ort jener Dramen, die sich wiederum in der Fläche, der Oberfläche Deiner Bildobjekte, abspielen. Diese Oberfläche ist kein glatter Ort, sie ist aufgerissen, uneben, porös, zerfurcht. Sie wird selbst zum Körper. Ich will gar nicht auf die möglichen Assoziationen eingehen, die einem beim Betrachten kommen könnten: auf die Landschaften, die man sehen könnte oder die Gesichtsreste, die ihnen qua Genese aus Deiner Arbeit mit Masken anhaften. Stattdessen möchte ich auf die mehrfache Überschreitung und Unterschreitung der Dimensionalität Deiner Arbeiten zu sprechen kommen. Es sind Kreise, aber es sind Kugelfragmente, die aber Fläche bieten, die sich selbst jedoch nur als Körper fassen lässt. Das war mal getrennt im Prozess der langsamen Formfindung von den glatten, grotesk ausgewölbten Masken über die hochpolierten mit wenigen Farbmarkierungen versehenen Oberflächen bis hin zu den Gebilden, denen wir jetzt hier gegenüberstehen. Der Gebrochenheit ihrer Dimension entspricht die Gebrochenheit der Rolle, die Du als Künstler bei der Entstehung dieser Werke spielst. Natürlich ist das ‘gemacht’: und doch besteht dieses Machen in einer Abgabe von agency an die Agentur Deiner Materialien. Macht doch, was ihr wollt, scheinst Du zu sagen und wirfst Pigment und Eisenspäne in die feuchte Pappmachémasse, auf dass sich Bild ereigne, etwas bilde oder auch herausbilde, durcharbeite, von einem Innen in ein Außen. Wenn Du das fertige, durchgetrockente Objekt aus der Form hebst, dann ist das auch für Dich die erste Begegnung mit etwas, das Du nicht kennst. Manchmal bist Du nicht zufrieden. Manchmal bleibt auch was hängen, wie sich nicht lösen, alles zerreißt und löst sich wieder in seine Einzelteile auf. Dann arbeitest Du von oben her nach oder lässt es. Wirfst einfach mal ein Hemd hinein oder eine Plastikflasche. Diese Körper haben nicht nur eine Oberfläche – sie haben auch eine Umwelt, ein Außen. Sie wachsen von innen her und sie werden geformt von außen. Letztlich dann versiegelt. Diese Versiegelung ist die Signatur, mit der Du den Prozess der Auseinandersetzung stoppst. Jetzt ist es genug. Weiter geht es hier, genau hier jetzt nicht. Das muss dann ein neuer Versuch sein im gleichen Experimentalfeld, derselben Anordnung.
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Es gibt noch eine andere Anordnung, die wohl eher dem Dich auch faszinierenden Zen-Buddhismus entspringt. Das tuende Nicht-Tun der beiden Spatelstriche. Kleine rechteckige Flächen, die Du mit zwei Spatelstrichen versiehst. Eine kurze Spur auf einer Oberfläche, dicker Auftrag, sehr gestisch. Eigentlich ist es eine Form gewordene Geste, etwas deutlich Getanes und doch gehört zu diesem Tun auch das Nicht-Tun, die Passivität, die sich aus der Schnelligkeit der Geste ergibt und aus der Verwendung zweier unterschiedlicher Farben. Eine dicke Farbmasse wird auf einen Spatel aufgetragen und mit einem einzigen Zug auf den Bildträger aufgebracht, dabei sind überdeutlich Beginn – kräftig, volltonig, deckend – und Ende – auslaufend, brüchig, dünn – markiert. Hier ist Zeit zum Raum geworden. Die führende Hand muss in einem Zug intuitiv die Länge der Spur, den Druck, den Zug entscheiden, ohne dass diese Entscheidung reflektiert werden könnte. Es ist eher jene Grazie, die Heinrich von Kleist den Marionetten zuschreibt. Ja, vielleicht ist das ohnehin die beste Beschreibung für diese Objekte: es sind kleine Schauspiele, Theaterstücke mit zwei in Spannung stehenden Protagonisten in einem Raum, denn im Unterschied zu den Kugelsegementen operieren diese Spatelstriche deutlich mit der Unterscheidung von Figur und Grund. Das kann man bei den Kugelsegmenten so nicht unterscheiden, allenfalls gibt es eine stabilisierende Trägerform, die aber ganz verschwindet unter der Masse, die die Oberfläche prägt und – buchstäblich nicht mehr vom Träger zu trennen ist. Die Spatelstriche hingegen entsprechen der Selbstverständlichkeit von Kalligraphien. Und ich glaube, ehrlich gesagt, überhaupt nicht, dass chinesische oder japanische Kalligraphien – sowenig ich mir anmaßen darf, davon etwas zu verstehen – aus einer Gleichmut heraus getuscht werden, aus einem Einklang oder einer Balance. Sie sind Unruhe pur. Doch verlangt die Artikulation dieser Unruhe eine Haltung dessen, der sie inskribiert. Der Kalligraph muss ganz Medium werden. Also sowohl aktiv als auch passiv sein: das ist übrigens die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ‘Medium’ – es handelt sich um eine weder aktive noch passive Form des griechischen Verbs. „Das Seil reißt“ wäre ein Satz, in dem das Altgriechische diese Verbform einsetzte. Das Seil reißt bedeutet ja einerseits etwas, was das Seil TUT, aber andererseits etwas, das das Seil ERLEIDET. Und genau das ist Dominiks Haltung als Künstler: er öffnet sich dem, was geschieht, aber was vielleicht nur deshalb geschieht, weil dieses Geschehen sich IN EINEM EMPFANG artikulieren darf. Botschaften, auch das gehört zum Kernbestand medienwissenschaftlicher Lehre, entstehen nicht bei der Sendung, sondern im Empfang. Dort erst stabilisieren sie sich oder hören nicht auf, sich zu destabilisieren. Beides kennt jede und jeder, die oder der eine Partnerschaft führt oder geführt hat, nur zu gut. Für Dominiks Arbeiten gilt: in der Schwebe zu bleiben. Das ist übrigens – in den Worten eines Philosophen, der hier gar nicht hinzugehören scheint, Immanuel Kant nämlich – der missliche Stand der Philosophie: an nichts festgemacht werden zu können. Was für Kant die Begründung der Selbstbegründung ist, wird in der künstlerischen Haltung von Dir, Dominik, zu einem In-Sein, in den Dingen und zwischen ihnen. Es ist Kant ohne ostpreußische Kraftmeierei, wenn man so will. Und doch folgt ja auch aus Kants Bonmot, dass die Philosophie nicht einfach abgelöst ist von Erde und Himmel gleichermaßen, sondern auch in der Spannung beider Orte, in einem von der Spannung dieser Orte aufgespannten dritten Ort sich aufhält.
Dieser dritte Ort ist nicht nur einer der Kunst, es ist auch die Utopie einer anderen Gesellschaft. Dominik engagiert sich seit Jahren für die Gemeinwohlökonomie: als Künstler. Die Gesellschaft, das Soziale, das menschliche Miteinander ist ihm das größte gestaltbare Kunstwerk überhaupt. Aber auch dieses Kunstwerk kann man in einem strikten Sinn nicht ‘machen’. Darin liegt vielleicht auch der Irrtum aller Versuche, Gesellschaft zu revolutionieren: die Meinung, es bedürfe nur eines anderen Handelns und Denkens. Jemand, der Pigmente in Pappmaché streut, weiß: das war’s jetzt mit dem Tun. Jetzt muss er auf die Kräfte vertrauen, die da tätig werden. Und das kann auch schiefgehen. Wachstum aber lässt sich anders gar nicht gestalten: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Aber man kann natürlich Umwelten schaffen, die es dem Gras leichter machen.
Vielleicht lässt sich der oder die eine oder andere hier dazu inspirieren, ein Merk-Zeichen solchen Wachstums mit nach Hause zu nehmen, das Denk-Bild einer Spur im oder auf dem Material. Dann zögern Sie nicht. Kaufen Sie ein Bild. Kunst geht nach Brot und nur davon, Medium zu sein, wird Dominik nicht satt und kann er auch diesen Raum nicht halten, der uns allen immer wieder Orte öffnet. Es gibt eine Preisliste, die der Orientierung dient. Wen ein Werk angeschaut hat, ohne dass er oder sie das Geld hätte, das es kostet, sollte nicht zögern, mit Dominik ins Gespräch zu kommen. Lösungen finden sich. In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen inspirierenden Abend und Dominik wünsche ich, dass das eine oder andere Werk aus seiner in andere Hände übergehen möge.
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Prof. Plazenka Perica:
Von der Darstellung zur Suggestion
»Die Maske…ein Zeichen für den Zusammenhang der Urform mit der Magie…,« (1) regte viele bildende Künstler, unter anderen Picasso, Miro, Ball oder Kandinsky, zu Malerei und Skulptur an. Seltener ist es, daß ein Schauspieler durch die Maskenherstellung veranlaßt wurde« sich der Welt der bildenden Kunst zu nähern. Die Maske bleibt meistens Mittel zum Zweck. Sie wird hergestellt, um auf der Bühne zum Leben erweckt zu werden. Bei Dominik Böhringer, der sich seit 1980 mit Masken beschäftigt, war es am Anfang nicht anders. Seine Masken entstanden nach den Prinzipien der Theatermasken und hatten auch deren Eigenschaften.
Durch die Vereinfachung sämtlicher Gesichtszüge und durch die Konzentration auf das Wesentliche, bei Verwendung mehr oder weniger realistischer Elemente schon während der Modellierung, wurden die Masken im Theater zum Darsteller eines Ausdrucks oder eines Typus bestimmt. Diese Art von Reduktion ist im Theater darum gerechtfertigt, weil sich dort das gesamte künstlerische Ereignis mit anderen Mitteln wie Bewegung, Sprache, Inszenierung ergänzen muß. Dadurch müssen sich die visuellen Erscheinungen auf direkte Erkennbarkeit und Eindeutigkeit beschränken.
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Im Medium der bildenden Künste spielt sich eine ganz andere Reduktion ab: die, die nicht auf Eindeutigkeit, sondern auf Vielfältigkeit, nicht auf unmittelbare Erkennbarkeit, sondern auf Andeutungen gerichtet ist. Genau das ist der Grund, warum man in den jetzigen Arbeiten von Dominik Böhringer nicht mehr die ursprüngliche Maske findet, sie aber noch immer ahnen kann. Darum sind sie auch keine Theaterrequisiten, sondern Kunstobjekte, Es gibt keine fein polierten Flachen mehr, aus denen sich eine Nase. Augen oder Mund herausheben oder deutlich aufgezeichnet sind, um Leid, Aggression, Traurigkeit oder Trotz zu erkennen befehlen. Sie symbolisieren jene Lebenskraft, die das Menschenwesen schon immer auszudrücken suchte.
Was trennt die Masken von den Objekten, was trennt Dominik Böhringer, den Schauspieler von Dominik Böhringer, dem bildenden Künstler?
Er baut keine Masken mehr, obwohl er weiterhin eine ähnliche Herstellungstechnik ausübt: statt wie früher bei seinen Masken das Positiv von der inneren Seite beliebig mit Papierstücken zu bekleben, da es später ohnehin von außen weiß übermalt wurde, benutzt er heute Papier mit dem Bewusstsein eines Malers: Collageartig klebt er meistens zwei verschiedene Papierstrukturen, die die Farbfunktion übernehmen, so ineinander, daß man auf der positiven Seite des Objektes zwei fließende Spuren und punktähnliche Elemente sehen kann.
So lässt er ein Bild von der Rückseite und ein Objekt von innen heraus entstehen; das heißt durch die Methode des den Zufall bewusst herausfordern, anstatt den Zufall durch den Mal- oder Bauprozess zu korrigieren oder zu verhindern. Verringert hat Dominik Böhringer nur seine Mittel, um desto mehr das Ereignis zur freien Vorstellungsmöglichkeit zu schaffen. Die großen, kreisförmigen, zur Mitte leicht gewölbten Objekte lassen kein Gesicht mehr hinter sich verbergen, was gewöhnlich Funktion der Maske ist. Sie verstecken weder eine Person hinter sich noch stellen sie einen bestimmten Charakter dar. Sie sind durch die oben erwähnte Reduktion in eine selbständige Aussage umgesetzt worden.
Diese Umwandlung der Maske verlangt nach einer weiteren Transformation, sie benötigt einen anderen Raum als die Theaterbühne. Aus Dominik Böhringer, dem Schauspieler, wird in diesem Fall ein Aktions-Initiator, der seine Objekte mit verschiedenen Handlungsformen umgibt (structure of behavior). Er lässt aus im Raum aufgehängten Behältern Wassertropfen in verschiedene Klangkörper fallen, wobei er die Rhythmen des Tropfgeräusches variiert. Die Stille des Raumes wird durch den rhythmisierenden Klang der Tropfen gemessen und mit Gesang, Bewegung oder Musik verdichtet. Die unterschiedlichen Sinneserweckungen bilden gemeinsam eine konzentrierte Fülle, die sich um die Objekte ausbreitet. Statt einer Bühne entsteht mit diesen Aktionen für alle Anwesenden eine stimmungsgezielte Ortsstruktur von Zusammenerlebnissen, Der Raum bleibt nicht mehr nur optisch wahrnehmbar, obwohl die Objekte, d.h. die visuellen Elemente, als Hauptträger der Raumbestimmung fungieren. Sie verweisen auf keine konkrete Stelle mehr – sie suggerieren einen Handlungsraum von jenen Erfahrungsformen, die auf das Ursprüngliche zurückgreifen.
So wie »die Masken ein Zeichen für den Zusammenhang der Urform mit der Magie« waren, so hat sie Dominik Böhringer in seinen Objekten und Aktionen zu einem eigenen Zeichen gemacht, zu einem Zeichen, das auf die Suche nach der rituellen Urform der Kunst selbst hindeutet.
(1) S. Melching. Theater der Tragödie. Munich 1974
Prof. Plazenta Perika:
From representation to suggestion
“The mask… a sign of the relationship of pure form to magic” (1), has stimulated many artists, including Picasso, Miró, Ball and Kadinsky to produce painting and sculpture. lt is rarer for an actor to come to fine art through mask-making.
Dominik Böhringer reduces the mask to a more or less lightly bulging circle. This simplification gives his objects the variety and allusiveness that are characteristic of works of fine art, rather than the unambiguity and direct recognizability of a theatrical prop. Instead of sticking scraps of paper on to the plaster negative at random, as used to be the custom with masks, as the positive form was going to be painted, Dominik Böhringer now uses paper with the awareness of a painter. He sticks various paper structures, which take over the function of colour like a collage in such a way that flowing tracks and painterly structures can be discerned on the positive side of the circle. Thus he creates a picture from the back and an object from the front. lt is a way of consciously challenging chance. These circles need no stage. Hanging free in the space they do not indicate any concrete action, they suggest an action space for those experience-forms that want to emerge at the point where nature touches the supernatural. Just as ‚the mask‘ is‚ a sign of the relationship of pure form to magic‘, Dominik Böhringer has made them into a sign in his objects in the same way; into a sign that points towards the search for the ritual primeval form of art itself.
(1) S. Melching. Theater der Tragödie. Munich 1974
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Zum Werk von Dominik Böhringer
Antje Hovermann
Böhringer bezeichnet seine Arbeiten als runde Bilder, oder als Kreise.Es sind halbplastische Objekte, die in einem zeitaufwendigen Formungsverfahren aus Papier inVerbindung mit Leim, Pigmenten und Materialien wie Eisenstaub, Erde, Sand etc. entstehen.
Bei diesem Prozess spielt die Gestaltungstätigkeit des Materials einewesentliche konzeptuelle Rolle:während der Zeitdauer des Trocknens (oft über Monate) reagieren die verschiedenen in eine Gipsform geschichteten Materialien miteinander und führen die zunächst von Böhringer angelegten Gestaltungen in kaum vorhersehbarer Weise weiter. In einem weiteren Schritt bearbeitet der Künstler diese organische Schöpfung nur zum Teil weiter – häufig jedoch braucht er nichts weiter zu tun, als zu erkennen, daß die selbständige Gestaltung durch das Material bereits vollendet ist.
Böhringer nennt diesen Vorgang das Lassen: der Künstler nimmt sich zurück und läßt entstehen, er wird lediglich zum Katalysator der Wirksamkeiten und Potentiale, die im Material liegen und die Schönheit erzeugen.
Dieses Lassen, das nicht mit Untätigkeit verwechselt werden darf, ist deutlich verwandt mit buddhistischer Geistigkeit, obwohl sich Böhringer spirituell im Abendland beheimatet weiß.
Der Aspekt der Mehrdeutigkeit kommt bei diesem Entstehungsprozess zum Tragen, indem die eindeutige gestalterische Vorgabe, die Böhringer zu Beginn macht, durch das Material verwandelt und ins Vieldeutige hinein modifiziert wird. Die dabei entstehenden Inhalte und Formen sind ebenfalls mehrdeutig: sie bedeuten nichts und verweisen zugleich auf vieles.
In manchen Kreisen verwendet Böhringer zeichenhafte Formen wie Kreuze, Linien, Rechtecke oder archaische Figurenzeichnungen – auch der Kreis selbst ist ja ein Zeichen. Diese Zeichen deuten auf archaische Urformen und deren Kraft; ihre Verwendungen in seinen Arbeiten stammt aus Böhringers Auseinandersetzung mit vielen ursprünglichen Kulturen.
Dominik Böhringer präsentiert seine Kreise in einer Weise, die exemplarisch für sein Anliegen ist: er hängt sie mit Abstand von der Wand entfernt schwebend in den Raum, so daß sie sich in einem räumlichen Dazwischen befinden und bereits in der Präsentation auf die Dimension eines Zwischen-Reiches verweisen.
So spielt der Begriff des Dazwischen, des Zwischenraumes eine zentrale Rolle. Der Zwischenraum ist der diffuse Bereich des Nicht mehr und des Noch nicht, der Raum des Mehrdeutigen, Vielschichtigen, Unwägbaren, aus dem heraus Neues geboren wird, das Reich des Seelischen, des Unbewussten, des Assoziativen und des nur Anbauen. Mit der Arbeit in diesem Bereich geschieht die Berührung mit der Dimension des Transzendenten, Überpersönlichen und die künstlerische Aussage weitet sich in diese Dimension des Immateriellen hinein.
Böhringer wagt in der Betonung des Zwischenreiches den impliziten Hinweis auf diese Dimension,
die letztlich die Quelle seiner Arbeit ist. In diesem Bereich des Nicht mehr und Noch nicht finden ständige Veränderungen statt. Entsprechend arbeitet Böhringer prozessorientiert, er bezeichnet seine Arbeit als Experimente in den Raum des Ungewissen hinein.
Die Bilder erhalten dadurch Objektcharakter und wirken in und mit dem sie umgebenden Raum; es ergibt sich eine intensive Korrespondenz zwischen Werk und Raum, eine Zwischen-Wirksamkeit.
Böhringers Kreise oder Runde Bilder strahlen in ihrer organischen Materialität, ihrer absichtsfernen, mehrdeutigen Gestaltung und ihrer formalen Stille eine Kraft aus, die Momente des Verweilen ermöglicht
Antje Hovermann 2001